In industriellen Prozessen, in denen brennbare Stoffe wie Lösungsmittel, Gase oder Stäube vorkommen, ist das Risiko einer Explosion allgegenwärtig. Die europäischen ATEX-Richtlinien definieren klare Vorgaben, um Menschen und Anlagen zu schützen. Eine bewährte Methode zur Risikominimierung ist die Inertisierung mit Stickstoff. Doch wie funktioniert das genau, und warum ist Stickstoff so effektiv?
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Explosionsschutz: Das Explosionsdreieck
Explosionsschutz bedeutet, das Risiko einer Explosion in Anlagen oder Behältern zu verhindern. Das zentrale Konzept ist das Explosionsdreieck, bestehend aus:
- Brennbarer Stoff (z. B. Gase, Dämpfe, Stäube)
- Sauerstoff (aus der Umgebungsluft)
- Zündquelle (Funken, heiße Oberflächen, elektrische Geräte)
Erst wenn alle drei Komponenten zusammenkommen, entsteht eine explosionsfähige Atmosphäre. Die ATEX-Direktiven bevorzugen Maßnahmen, die die Bildung explosionsfähiger Atmosphären, z. B. durch Trennung der Komponenten verhindern. Hier setzt die Inertisierung an: Stickstoff verdrängt Sauerstoff und „bricht“ das Dreieck.
Stickstoff als Schutzgas: Das Prinzip der Inertisierung
Stickstoff ist ein inertes Gas, das weder brennbar noch reaktiv ist. Bei der Inertisierung wird Stickstoff in Tanks, Reaktoren oder Rohrleitungen eingeleitet, um den Sauerstoffgehalt zu senken. Typische Zielwerte liegen unter 8 bis 10 % Sauerstoff, abhängig vom jeweiligen Stoff – bei Ethanol z. B. etwa 8 %.
Vorteile der Stickstoff-Inertisierung:- Kosteneffizient: Keine teuren Zusatzstoffe oder komplexen Verfahren. Stickstoff ist günstig und leicht verfügbar.
- Einfach umsetzbar: Standardisierte Technik, die sich problemlos in bestehende Anlagen integrieren lässt.
- Produktreinheit: Stickstoff ist inert und hinterlässt keinerlei Rückstände, wodurch die Qualität des Produkts erhalten bleibt.
ATEX-Richtlinien: Rechtlicher Rahmen
Die beiden zentralen ATEX-Direktiven sind:
- 2014/34/EU (ATEX 137): Regelt Geräte und Schutzsysteme in explosionsgefährdeten Bereichen.
- 99/92/EC (ATEX 153): Legt Anforderungen an Arbeitsstätten fest.
Gemäß ATEX gilt: Explosionsgefahr vermeiden, bevor sie entsteht. Die Inertisierung mit Stickstoff ist eine anerkannte Maßnahme, um die Bildung explosionsfähiger Atmosphären zu verhindern. Sie erfüllt damit die Grundprinzipien der Richtlinien.
Reinheit: Muss es wirklich 5.0 sein?
Die Reinheitsangabe „5.0“ steht für 99,999 % Stickstoff und ist ein Standard in Hightech-Branchen wie Elektronik oder Pharma. Für den Explosionsschutz ist diese Reinheit jedoch nicht erforderlich. Für die Sauerstoffverdrängung reicht in der Regel eine Reinheit von 99,5 % völlig aus. Höhere Reinheitsgrade bedeuten deutlich höhere Kosten, ohne zusätzlichen Sicherheitsgewinn. Die Herstellung von hochreinem Stickstoff ist zudem energieintensiv und erfordert komplexe Adsorptionssysteme. Für viele industrielle Anwendungen ist daher ein wirtschaftlicher Mittelweg die sinnvollste Lösung.
Anwendungen: Überlagerung von Lagerbehältern
Stickstoff wird als Schutzgas in Tanks eingesetzt, um:- Sauerstoff fernzuhalten (Korrosionsschutz, Explosionsschutz)
- Oxidation von Produkten zu verhindern (z. B. bei Ölen, Chemikalien)
- Feuchtigkeit zu reduzieren
Typische Branchen: Chemie, Lebensmittel, Pharma, Öl & Gas, Lack- und Farbenindustrie
Technische Umsetzung einer Stickstoffversorgung
Es gibt verschiedene Methoden, Stickstoff bereitzustellen:
1. Gasflaschen (Zylinder)
Sie liefern Stickstoff in vorgefüllter und standardisierter Reinheit. Allerdings sind die Lieferintervalle starr, die Flexibilität gering und zusätzlicher Lagerplatz erforderlich.
2. Flüssigstickstoff-Tanks
Ideal für große Volumina und besonders effizient bei konstant hohem Bedarf. Allerdings erfordert diese Lösung eine aufwendige Infrastruktur mit Tanks, Isolierung und Transferleitungen.
3. On-site-Generatoren
- Membransysteme: Erzeugen Stickstoff mit 95 bis 99,5 % Reinheit. Kompakt, energieeffizient und ideal für Anwendungen mit mittleren Reinheitsanforderungen.
- PSA-Systeme (Pressure Swing Adsorption): Liefern bis zu 99,999 % Reinheit. Flexibel skalierbar und effizient bei hohen Reinheitsanforderungen, jedoch energieintensiver. Häufig genutzt in Chemie- und Pharmaindustrie.
- Cryogene ASUs: Große, stationäre Anlagen für sehr hohe Volumina und höchste Reinheit. Technisch aufwändig und mit hohen Energiekosten verbunden.
Vor- und Nachteile auf einen Blick:
|
Methode |
Reinheit |
Vorteile |
Nachteile |
|
Gasflaschen/ Tanks |
Feste Reinheit |
Einfach, keine Installation |
Lieferzeiten, Lagerbedarf |
|
Membran-Generator |
95–99,5 % |
Günstig, kompakt, energieeffizient |
Begrenzte Reinheit |
|
PSA-Generator |
bis 99,999 % |
Flexibel, skalierbar |
Höherer Energieverbrauch |
|
Cryogene ASU |
>99,99 % |
Hohe Kapazität, Premiumqualität |
Hohe Investitionskosten |
Praxis-Tipp: Für ATEX-konforme Inertisierung reicht in den meisten Fällen ein Membransystem oder PSA-Generator mit mittlerer Reinheit.
Kosten-Nutzen-Vergleich
Warum 99,5 %-Stickstoff wirtschaftlich sinnvoll ist:
- Kostenunterschiede bei Reinheit: Höherreine Stickstoffgase (99,999 %) sind deutlich teurer herzustellen: Aufgrund höherem Energiebedarf, komplexerer Adsorptionssysteme und höherem Druckluftaufwand.
- Anwendung gemäß Anforderungen: Für viele industrielle Prozesse, wie Explosionsschutz, Lagerstabilität oder Überlagerung, reicht 99,5 % (oder 99 %) aus. Höhere Reinheit bietet keinen zusätzlichen Nutzen, verursacht aber unnötige Kosten.
- On-site-Generatoren: Durch anpassbare Reinheit und geringeren Logistikaufwand sparen Unternehmen trotz höherer Initialinvestition langfristig.
Fazit
Stickstoff ist ein Schlüssel zur Sicherheit in explosionsgefährdeten Bereichen. Durch die gezielte Sauerstoffverdrängung lassen sich Risiken minimieren und ATEX-Vorgaben erfüllen, ohne unnötige Kosten für überhöhte Reinheit. Die Devise lautet: Sicherheit ja, aber wirtschaftlich sinnvoll.
ATEX sind EU-Richtlinien für Explosionsschutz. Sie regeln Geräte (2014/34/EU) und Arbeitsstätten (99/92/EC) in explosionsgefährdeten Bereichen.
- Kosteneffizient und einfach umsetzbar
- Keine Rückstände im Produkt
- Kompatibel mit bestehenden Anlagen
- Verhindert Korrosion, Oxidation und Feuchtigkeitseintrag
- Gasflaschen/Tanks: Einfach, aber unflexibel und mit Lageraufwand
- Flüssigstickstoff-Tanks: Für große Mengen, aber hohe Infrastrukturkosten
- On-site-Generatoren:
- Membransysteme (95–99,5 %) – kompakt, energieeffizient
- PSA-Systeme (bis 99,999 %) – flexibel, aber energieintensiv
- Cryogene ASUs (>99,99 %) – höchste Reinheit, aber teuer
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